Türen im Art Decoder Stil in Münster Türen im Art Decoder Stil in Münster
Foto: Mona Contzen

Architektur

art déco: aus freude am dekor

erschienen im MÜNSTER! Magazin No. 117 (Oktober 2022)

Dreieckige Fenster, stilisierte Blumen, Backsteine so angeordnet, dass sie ein geometrisches Muster ergeben: Die kleinen Feinheiten an den Fassaden, die dekorativen Elemente über Fenstern und Türen, man sieht sie nicht auf den ersten Blick. Erst recht nicht, wenn man mit einem „Erdgeschossblick“ unterwegs ist – und den attestiert Martin Korda den meisten Münsteranerinnen und Münsteranern. Dem Professor im Ruhestand, der immer wieder mal zu architekturgeschichtlichen Führungen einlädt, bereitet es eine fast diebische Freude selbst dem alteingesessensten Stadtbewohner noch getalterische Elemente zu zeigen, an denen er oder sie jahrzehntelang blinden Auges vorbeigelaufen ist. Besonders gut funktioniert das mit dem Art déco: Denn der Stil prägt meist keine ganzen Gebäude, „Art déco ist eher eine Dekoration als ein eigener Baustil“, sagt der Architekt und lenkt den Blick auf die erste Etage.

Art Déco Fassade des Caputos Münster Foto: Mona Contzen
Architekt Martin Korda liebt vor allem die kleinen Dekors des Art déco. Auffälliger sind da die Zickzacklinien des Restaurant Caputo’s am Picassoplatz.
Art Déco am Studtplatz Münster Foto: Mona Contzen
Irgendwie streng und doch ein bisschen verspielt: die Eleganz der Form rings um den Studtplatz.

Im Kreuzviertel rings um den Studtplatz hält sich das Art déco vornehm zurück, aber es ist da: eine schlichte Backsteinornamentik hier, dort ein paar Zickzacklinien im Stein. „Der Jugendstil mit seinen floralen, rankenden Elementen war out. Das wurde damals schon als kitschig empfunden“, weiß Korda. In den zwanziger Jahren, der Hochphase des Art déco, steht stattdessen die Eleganz der Form im Vordergrund. Einfach, geometrisch, symmetrisch: irgendwie streng und doch ein bisschen verspielt. „Nach dem Ersten Weltkrieg wollte man wieder Schmuck, Glanz, Pracht und sich gleichzeitig von den Zwängen der Kaiserzeit, von Sisis geschnürter Taille, befreien“, erklärt der rüstige 84-Jährige. Er schnipst mit den Fingern, lässt die Hüfte ein wenig schwingen. „Art déco hat viel mit der Zeit zu tun: Es ging mit Tempo und Fortschritt, sozusagen stromlinienförmig in die Zukunft. Und ein bisschen Verrücktheit spielte in den goldenen Zwanzigern auch eine Rolle – denken Sie nur an Jazz, Charleston, Mode und Schmuck.“

Foto: Mona Contzen
Wer mit Martin Korda durch Münster läuft, entdeckt die Stadt von einer neuen Seite. Bei seinen architekturgeschichtlichen Führungen lenkt der emeritierte Professor für Städtebau den Blick auf kleine Details mit großer Wirkung.

Paradebeispiele dafür sind das Chrysler Building in New York, das in Details an den stromlinienförmig konzipierten Kühlergrill des damaligen gleichnamigen Autos erinnert, oder das Art-Déco-Viertel in Miami Beach, wo Formen und Linien an den Gebäuden sogar knallbunt hervorgehoben werden. In Westfalen freilich ging die Verrücktheit nicht ganz so weit. Doch während die zeitgleich aufkommende nüchtern-strenge Bauhaus-Architektur in Münster überhaupt nicht gut ankam, waren die hiesigen Architekten und Bauherren der „dekorativen Kunst“ gegenüber durchaus aufgeschlossen.

„Art déco hat viel mit der Zeit zu tun: Es ging mit Tempo und Fortschritt sozusagen stromlinienförmig in die Zukunft“
 
MARTIN KORDA

„Besonders im dicht bebauten Kreuzviertel hat jedes Haus seine Geschichte“, weiß Martin Korda, der 30 Jahre lang als Professor für Städtebau am Fachbereich Architektur der FH Münster gelehrt hat und zeitweise deren Rektor war. Das gesamte Stadtviertel mit seinen Plätzen, Gebäuden und Fassaden steht unter sogenanntem Ensembleschutz. Das heißt, das Gebiet insgesamt ist denkmalwürdig und ohne Genehmigung der städtischen Denkmalpflege darf keinerlei Veränderung vorgenommen werden. Deshalb – und weil das Quartier im Zweiten Weltkrieg weniger stark zerstört wurde als die Innenstadt – wird das Kreuzviertel mehr als alle anderen Stadtviertel von Altbauten aus der Wende des 19./20. Jahrhunderts geprägt.

Art Déco Fassade in der Kolpingstraße Münster Foto: Mona Contzen
„Toblerone-Erker“ hat Martin Korda die spitzen Vorsprünge an diesem Haus in der Kolpingstraße getauft.
Holztür in der Wiener Straße Münster Foto: Mona Contzen
In der idyllischen Wiener Straße sind sogar die Original-Holztüren der alten Beamtenhäuser im Zwanziger-Jahre-Stil gehalten.

So ist in der Gertrudenstraße beispielsweise ein wilder Mix aus schnörkeligem Jugendstil, Knutsch-Porträts aus der Jahrhundertwende – „damals übrigens als jugendgefährdend eingestuft“, erzählt Korda schmunzelnd –, Art déco und sogar Fachwerk zu sehen. Raesfeldstraße, Melchersstraße, Kellermannstraße. Immer wieder tauchen entlang der Straßenzüge des Kreuzviertels symmetrische, ornamentale Elemente auf: Zickzack-Linien und Dreiecke, symbolhafte Blumen, auch mal stilisierte, maskenartige Gesichter.

„Ich finde gerade die kleinen Dekors einfach liebenswert, weil der Bauherr sie aus Freude gemacht hat “
 
MARTIN KORDA

Die Freude am Dekor zeigt sich im Kleinen. „Insgesamt konnte sich Art déco natürlich nicht wirklich durchsetzen“, sagt Korda. Denn der Wunsch nach etwas Schönem, nach Dekoration und Eleganz traf nach dem Ersten Weltkrieg auf Inflation und Armut. Oft musste schnell und billig gebaut werden, ob für die Beamten oder die preußischen Offiziere, die nach der Kaiserzeit nach Münster kamen. Beispiele gibt es dafür viele, vor allem Siedlungsarchitekt Wilhelm Jung hat in Münster seine Spuren hinterlassen. An der Kolpingstraße steht eines der Häuser, die er für den Beamtenwohnungsbauverein entworfen hat. Es ist eins von Kordas Lieblingsgebäuden, verziert mit spitzen „Toblerone-Erkern“ – „da weiß jeder sofort, was gemeint ist“, sagt der 84-Jährige und lacht.

Fassade des Finanzamts Münster Foto: Mona Contzen
Geradezu spektakuläre Ikonen des Art déco sind der figürliche Schmuck und die Schrift über dem Eingang des ehemaligen Finanzamts in der Münzstraße.
Art Déco Details am Finanzamt Münster Foto: Mona Contzen

Auch am Niedersachsenring gibt es eine lange Häuserzeile, zwischen Ostmark- und Warendorfer Straße sogar ein ganzes Karree, das typisch für Münsters – wenn man so will – sozialen Wohnungsbau der zwanziger bis dreißiger Jahre ist. Im Vorbeigehen wirken die Gebäude unscheinbar. „Aber ich finde gerade die kleinen Dekors einfach liebenswert, weil der Bauherr sie aus Freude gemacht hat und nicht, weil es Stil oder Architektur ist“, gesteht Korda, der in Marl aufgewachsen ist und in Berlin Architektur studiert hat.

Besonders schön ist die idyllische Wiener Straße, in der sogar die originalen Holztüren der alten Beamtenhäuser das Stilgefühl der damaligen Zeit widerspiegeln. Geradezu spektakuläre Ikonen des Art déco sind der auffällige figürliche Schmuck und die Schrift über dem Eingang des ehemaligen Finanzamts in der Münzstraße, noch immer modern muten die Zickzack- und Stromlinien des Restaurant Caputo’s am Picassoplatz an – quasi ein Stück Art-déco-Miami in Westfalen. Und wer die Augen offenhält, kann auch im Süd-, Ost- und Erphoviertel das ein oder andere Art-déco-Element entdecken, davon ist Martin Korda überzeugt. Doch dafür müssen die Münsteraner erst einmal ihren Erdgeschossblick loswerden.

Wer Interesse an einer architekturgeschichtlichen Führung hat, kann sich unter m.Korda@web.de bei Martin Korda melden. Die Führungen gibt er kostenlos gegen eine Spende an UNICEF.

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